Werbung und Storytelling – kann das gutgehen?

Wer auf dem digitalen Marktplatz wahrgenommen werden will, steht vor einer zwiespältigen Situation. Auf der einen Seite sind wir alle von der Informationsflut überfordert. Wir haben Werbeblocker im Browser, filtern zusätzlich im Kopf und lassen uns leicht wieder ablenken – bereits im vergangenen Jahr attestierte uns Microsoft, mit unserer Aufmerksamkeitsspanne hinter den gemeinen Goldfisch zurückgefallen zu sein.

Gleichzeitig können wir vom Medienkonsum gar nicht genug bekommen. Wir leben in ständiger Symbiose mit dem Smartphone, bingewatchen TV-Serien, finanzieren immer größere Budgets für Filmproduktionen und kommentieren vier Talkshows pro Woche simultan auf Twitter.

Die Aufmerksamkeit für Medieninhalte erlahmt nicht, aber sie wird gnadenlos selektiv investiert.

Die Aufmerksamkeit für Medieninhalte erlahmt also nicht – aber sie wird gnadenlos selektiv investiert. Wir widmen uns mit Hingabe unseren Lieblingsthemen und sind immer schwerer erreichbar für alles andere.

Der Hype ums Storytelling als Marketingmittel ist eine logische Folge davon. Seit Urzeiten, in allen Kulturen und von früher Kindheit an begeistern sich Menschen für Geschichten. Die Filmindustrie erscheint noch einmal um ein Vielfaches größer, wenn man sie nicht am Umsatz, sondern an der Aufmerksamkeit misst, die sie erregt und bindet. Wenn man nur eine kleine Schnitte dieser Aufmerksamkeit aufs eigene Produkt lenken könnte! Das klingt verführerisch, und es liegt nahe, sich dazu etwas von den Meistern des Faches abzugucken.

Storytelling und Werbung: Es war einmal ...
Es war einmal im Marketing

Vorbauen für Mensch und Maschine

Im Internet sind Anbieter noch mehr als in anderen Medien gezwungen, sich über attraktive Inhalte Gedanken zu machen. Für ein Produkt interessieren sich die meisten nur dann, wenn sie gerade ein Produkt genau dieser Art brauchen – und wenn man in diesem Moment noch nichts für die eigene Bekanntheit getan hat, ist es zu spät.

Wenn Nachfrage entsteht, ist es zu spät.

Denn entweder hat der potentielle Kunde schon einen Anbieter im Hinterkopf, wenn Bedarf entsteht. Das ist logischerweise nur dann der Fall, wenn er diesem bereits begegnet ist, als er das Produkt noch nicht brauchte.

Oder er hat noch keinen Anbieter im Hinterkopf und wendet sich an Google. Dort aber sind nur solche Webseiten realistisch auffindbar, die kontinuierlich Aufmerksamkeit erregen, was sich vor allem in regelmäßigen Updates und eingehenden Links äußert.

Für beide Szenarien muss man folglich vorbauen, wenn noch nicht gesucht wird.

Also Storytelling. Vor allem dank Hollywood ist heute einigermaßen klar, was eine erfolgreiche Geschichte ausmacht. Das Strickmuster eines vollwertigen Epos ist in der sogenannten Heldenreise abgebildet: Der Held wird durch einen unerwarteten Ruf des Abenteuers aus dem Alltag gerissen, bewährt sich schließlich durch Aufopferung für die gute Sache und kehrt geläutert heim – stark vereinfacht.

Die Heldenreise

Die Abbildung folgt der Darstellung von Petra Sammer in ihrem Buch „Storytelling – Die Zukunft von PR und Marketing“. Da dieses Schema den meisten Menschen intuitiv vertraut ist, kann man auch gut mit einzelnen seiner Elemente spielen und muss nicht immer gleich ein ganzes Epos erzählen.

Doch wie wird daraus Werbung?

Besonders für kleine und mittlere Unternehmen ist es aber aus folgenden Gründen nicht so einfach, Storytelling mit konventioneller Werbung zu verbinden.

  1. Gute Geschichten zu erzählen ist teuer, auch wenn es nicht Videos, sondern nur Texte sein sollen. Die Expertise des durchschnittlichen Unternehmers und seiner Angestellten ist normalerweise nicht das Schreiben. Auch die kreative Tochter oder ein Student aus der Nachbarschaft, die gratis oder für wenig Geld arbeiten würden, schütteln nicht mal eben jede Woche einen Blockbuster aus dem Ärmel.
  2. Wo ist das Produkt? Beim Film ist die Geschichte selbst das Produkt, er muss nicht noch etwas anderes promoten. Je mehr sich Werbung aufs Geschichtenerzählen einlässt, desto mehr rückt das Produkt an den Rand. Umso schwieriger wird es bei technischen Produkten, die an sich wenig emotional sind. Heldenepen drehen sich meist nicht um Kühlaggregate für den Einzelhandel.
  3. Der Motor jeder Geschichte ist ein Konflikt, und Werbe- oder gar Verkaufstexte sind kein natürlicher Lebensraum für Konflikte. Sie sollen ein klar konturiertes Bild von den Leistungen und Vorzügen des Produkts entstehen lassen – nicht verwirren oder gar beunruhigen. Zwar werden Irritationen verschiedener Art gelegentlich durchaus für Werbung und Marketing genutzt. Aber erstens geht es dann eher um Branding und Imagebildung als direkt ums Verkaufen und zweitens müssen solche Strategien wohldurchdacht sein, um nicht zu verpuffen oder sogar den öffentlichen Auftritt zu beschädigen. Provokante Kampagnen sind wiederum eher etwas für größere Unternehmen, die sich dafür Kommunikationsexperten leisten können. Und grundsätzlich gilt, dass Konflikte in der Werbung nicht so ernst sein dürfen wie im Drama, wenn man seine Marke nicht mit unangenehmen Assoziationen verknüpfen will. Die Schock-Kampagnen von Benetton sind eine klare Ausnahme.

Was also tun?

Vor allem auf dem Teppich bleiben. Und dann eins nach dem anderen.

Zuerst die Basics

Der Frühjahrsputz kommt vor dem Sommerfest.

Viele Internetauftritte kleiner und mittlerer Unternehmen haben noch Lücken bei den Grundlagen, also bei Technik, Design, Grafiken und Text. Bei letzterem sind vor allem die Selbstdarstellung, die Präsentation des Angebots und die Usability der Seite im Ganzen wichtig. Wenn hier noch nicht genug Liebe investiert wurde, lohnt es sich, das zu ändern, bevor man über ausgefallenere Marketingstrategien nachdenkt.

Bei der Zusammenarbeit mit einem guten Texter ist man dann automatisch gezwungen, sich über die Selbstdarstellung Gedanken zu machen. Wer sind wir als Firma, wofür stehen wir, warum tun wir, was wir tun, wie reden wir mit Kunden und Geschäftspartnern? Wenn ein Auftritt keinen Schwung hat, liegt das oft daran, dass man sich diese Fragen nicht konsequent gestellt oder die Antworten in der Kommunikation nicht konsequent umgesetzt hat.

Unternehmenskultur und -kommunikation

Wie sich darin schon andeutet, spielt Authentizität eine wichtige Rolle – und Authentizität besteht eben nicht darin, möglichst viel „Du“ und „Ich“ (oder „Wir“) zu verwenden und Trivialitäten aus dem Alltag zu posten. Eine aufgezwungene lustig-lockere Attitüde dieser Art ist eben gerade nicht authentisch, und das Publikum merkt das auch.

Vielmehr bedeutet Authentizität, in der Selbstdarstellung wirklich sich selbst darzustellen, und das geht nur, wenn man auch weiß, wer man ist. Manche Firmen behandeln Neukunden wie alte Kumpel, und das ist völlig in Ordnung, wenn es für sie funktioniert. Aber andere sind reservierter – und das ist ebenfalls in Ordnung.

Die Außenkommunikation muss in lebendiger Verbindung mit der Unternehmenskultur stehen.

Die Herausforderung besteht darin, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die im Arbeitsalltag gelebt wird. Das ist oft leichter gesagt als getan, aber es ist etwas, wonach ein Unternehmen so oder so streben muss, wenn es gesund bleiben – oder werden – will. Und soweit es gelingt, entstehen passende Geschichten von selbst. Diese müssen dann nur noch artikuliert werden.

Anfang vergangenen Jahres machte ein Reutlinger Friseursalon in der Online-Marketing-Branche von sich reden, der vorführt, wie das geht. Durch eine offene und ehrliche Kommunikation wird die alltägliche Arbeit im Unternehmen selbst zur Story, die keine aufwändigen Drehbücher und Inszenierungen braucht. Zweifellos bedeutet das viel Arbeit. Aber wer diese in Unternehmenskultur und Kundenbeziehungen investiert, kann sicher sein, dass sie nicht verschenkt ist. Bei Werbemaßnahmen, die allein auf eingekaufter Kreativität beruhen, kann man das nicht.