Warum Text langweilig ist und was man dagegen tut

Als „Horror Vacui“ wird manchmal das Unbehagen bezeichnet, das einen Autor beschleicht, wenn er ein leeres Blatt vor sich hat, das in eine gelungene Textseite verwandelt werden will. Die Angst vor dem Nichts. Als Leser oder Kunde inmitten des heutigen Informationsüberflusses kennt man allerdings eher die Angst vor dem Zuviel.

Illustration: Text

Unzählige Aphorismen und Kalendersprüche erzählen davon, wie erhaben, schön und vielfältig Sprache und Literatur sind. Aber die meisten Texte in unserem Alltag sind eher lästig. Mit ihnen wollen wir eigentlich nichts zu tun haben. Vielmehr wollen wir uns Informationen und Wissen aneignen oder mit jemandem kommunizieren, und Texte sind ein notwendiges Übel auf dem Weg zu diesem Ziel. Paradebeispiel ist die Gebrauchsanweisung für ein technisches Gerät. Niemand zweifelt daran, dass es von Vorteil wäre, sich den Inhalt anzueignen und sorgfältig zu merken, aber deswegen hat man noch lange keine Lust dazu. Das Interessante sind die Informationen, nicht die Texte.

Informationsarme Kommunikation

Wie stark sich gesprochene und geschriebene Sprache voneinander unterscheiden, tritt einem besonders klar vor Augen, wenn man einen alltäglichen Dialog eins zu eins niederschreibt. So etwas zu lesen ist ermüdend. Die Informationsdichte ist so gering und die Redundanz so groß, dass auch eigentlich intelligente und witzige Sprecher tendenziell träge wirken.

Wie halten wir es nur aus, täglich Stunden über Stunden an solchen Gesprächen teilzunehmen?

Wir leben das Leben mit fünf Sinnen, während Text nur die Vorstellung anregt.

Ganz einfach: wir tun es gar nicht. Denn in natura sind diese Gespräche bei weitem gehaltvoller als ihre Niederschrift, die Gestik, Mimik, Stimme, Kontext, Atmosphäre und vielleicht auch eine bestimmte Vorgeschichte der Kommunikationspartner unterschlägt. Wir leben das Leben mit fünf Sinnen, während Text nur die Vorstellung anregt. Und auch dies tut er nur, solange wir ständig visuelle Zeichen in Laute und Laute in Bedeutungen übersetzen. Letzteres ist mühsam, und die Vorstellung im Vergleich zum leibhaftigen Erleben schwer greifbar und langweilig.

Was tut man also dagegen?

Man verdichtet.

Text ist erst einmal diffus, weil die anderen Kanäle der Wahrnehmung und Kommunikation fehlen. Man hat nur diesen einen Kanal. Das lässt sich nicht grundsätzlich ändern, aber man macht das Beste daraus, indem man diesen Kanal mit so viel Leben füllt wie möglich. Es gibt ein reiches Angebot an Lektüre darüber, wie man das im Einzelnen macht. Statt aber auf technische Details wie den richtigen Einsatz von Substantiven, Verben und Adjektiven einzugehen, will ich hier drei eher grundsätzliche Baustellen ansprechen, an denen Schreibende mit Gewinn arbeiten können.

1. Entakademisierung: Die Kuh auf der Wiese

Viele von uns, die irgendetwas Geistes- oder Sozialwissenschaftliches studiert haben, müssen ihre Schriftsprache erst einmal entakademisieren. Akademisches Schreiben sollte eigentlich besonders klares und präzises Schreiben sein, doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Dementsprechend meine ich mit Entakademisierung keine Annäherung an die BILD-Zeitung – oder nun ja, vielleicht eine kleine.

Den meisten mittelmäßigen wissenschaftlichen Arbeiten, also den meisten, mangelt es an dem, was ich eine klare Ansage nenne. Steht eine Kuh auf der Wiese oder steht keine Kuh auf der Wiese? Die Frage nach der möglichen Präsenz einer Kuh auf der Wiese bedarf differenzierter Betrachtung, da eine komplexe Gemengelage von sozialen, kulturellen, ökologischen, klimatischen und politischen Kontextfaktoren in der Beobachterperspektive wirksam ist, welche außerhalb dieser nicht gedacht werden können.

Kuh auf Wiese
Muh?

Es macht Spaß, solche Sätze zu schreiben und dabei das Gefühl zu haben, dass noch viel mehr ist, wo die herkommen – you ain’t seen nothing yet. Aber das ist die Sorte Spaß, die man auch beim lauten und falschen Singen unter der Dusche hat. Viel öfter, als man denkt, genügt es auch, zu sagen: Es steht eine Kuh auf der Wiese, es steht keine Kuh auf der Wiese, es ist egal, ob eine Kuh auf der Wiese steht oder ich weiß nicht, ob eine Kuh auf der Wiese steht. Es ist immer alles komplex, wenn man genau hinsieht, und man kann auch alles komplex beschreiben. Man muss aber nicht.

Man konfrontiere also eigene Texte immer wieder mit der Frage: Steht eine Kuh auf der Wiese? Wer sich als Nachwuchswissenschaftler dabei ertappt, dass er es nicht weiß, muss das im Text zugeben oder weiterforschen.

2. Im Ernst – worum geht es?

Der zweite Punkt ist mit dem ersten verbunden, aber nicht nur für Akademitispatienten relevant. Der Nebel, der in differenzierter Betrachtung mögliche Kühe auf der Wiese umweht, erklärt sich oft nicht allein aus mangelndem Schreibgeschick, sondern rührt grundlegender daher, dass auch im Kopf des Verfassers gar nicht klar ist, was er eigentlich sagen oder welche Frage er beantworten will.

Im Nebel
Im Nebel

Dieses Problem betrifft auch Werbe- und Verkaufstexte sowie Blogartikel. Einen Text über Thema X schreiben ist zu unspezifisch. Ein Grabbeltisch mit unsortierten Informationen über Thema X ist kein Text. Was genau soll der Leser über X erfahren? Wer mit einem Produkt oder einer Dienstleistung sehr vertraut ist, verliert oft den Blick für die wesentlichen Informationen, die vermittelt werden müssen, weil das Wesentliche seines Angebots für ihn selbstverständlich geworden ist. Das nennt man auch „Betriebsblindheit“. Wenn auf der anderen Seite jemand beauftragt wird, der im Gegenteil zu wenig mit der Sache vertraut ist, läuft dieser gerade deshalb Gefahr, am Wesentlichen vorbeizuschreiben und unnötig wolkig zu bleiben.

Viele Texte hatten nie eine Chance, zum Leben zu erwachen, weil es nie eine klare Botschaft gab.

„Jede gute Geschichte hat einen Grund, erzählt zu werden“, schreibt Petra Sammer in ihrem Buch „Storytelling“. Ganz in diesem Sinn empfiehlt Zach Bulygo von Kissmetrics, Werbetexte einem „Na-und-Test“ zu unterziehen: Wenn man nach der Lektüre „na und?“ fragt, fehlt etwas. Was genau wollen Sie sagen, warum genau ist das für die Adressaten interessant? Viele Texte hatten nie eine Chance, zum Leben zu erwachen, weil es nie eine klare Botschaft gab. Oft hilft es schon, den Kreis der Informationen enger zu ziehen und sich auf Teilaspekte zu beschränken, um die Botschaft klarer zu bekommen. Wer alles gleichzeitig sagen will, sagt am Ende nichts.

Die Kontrollfrage lautet also: Warum ist es überhaupt interessant, ob eine Kuh auf der Wiese steht? Oder geht es eigentlich um etwas anderes?

Der dritte Punkt ergibt sich hieraus unmittelbar und betrifft die Arbeitstechnik.

3. Intuition und Disziplin – der Künstler und der Kritiker

Schreiben erfordert ein konstruktives Miteinander von Intuition und Disziplin. Ich hoffe, wer sich vom obigen Punkt 2 überzeugen lassen hat, macht sich jetzt nicht verrückt mit der Erwartung an sich selbst, die Botschaft schon vor dem Schreiben fertig im Kopf zu haben. Diese Erwartung lähmt nur und ist bei anspruchsvolleren Texten unmöglich zu erfüllen, sofern Sie nicht zufällig ein vollendeter Mozart des Wortes sind.

Die anfängliche Intuition, worüber und wie man es schreiben will, ist noch unscharf ist und lässt sich bestenfalls grob in Worten artikulieren. Hüten Sie diese Intuition – sie ist wertvoll. Selbst Albert Einstein, der ungefähr die abstraktesten und schwierigsten Themen behandelt hat, die man sich denken kann, sah die Grundlage seiner Entdeckungen in der Intuition.

Inspiration füllt leere Seiten, Disziplin macht aus gefüllten Seiten gelungene Texte.

Es spricht also überhaupt nichts dagegen, erst einmal wild draufloszuschreiben. Dadurch bringt man die intuitive Idee in eine erste, grobe Form, die man braucht, um später zu einer feineren vorzudringen. Damit letzteres dann aber auch geschieht, ist Disziplin gefragt – ein gnadenloser innerer Kritiker, der überflüssige Sätze, Wörter und Silben jätet, Eitelkeiten des Verfassers offenlegt, über holprige Satzbauten stolpert, unsaubere Strukturen kartographiert und einem am Ende alles vor die Füße wirft mit den Worten: Das machen wir jetzt aber noch mal.

Es wird oft unterschätzt, wie wichtig diese Strenge ist. Man könnte sagen: Die Inspiration füllt leere Seiten, die Disziplin macht aus gefüllten Seiten gelungene Texte.

Beide Schritte, das ungeordnete Aufschreiben und die Visite des Kritikers, lassen zugleich die Idee klarer und den Text besser werden. Nach jeder Überarbeitung kommt der Kritiker zurück, bis er nichts mehr findet.

Man kann nicht erwarten, dass Intuition allein bereits ein gutes Endprodukt gewährleistet – aber auch nicht, dass man allein mit der Anwendung von Regeln und Rezepten etwas zuwege bringt. Seien Sie großzügig und herzlich zu allem, was sich wie eine gute Idee anfühlt – aber streng mit dem, was am Ende auf dem Papier steht.

Wer also meint, eine Kuh auf der Wiese ausgemacht zu haben, sollte überlegen, was ihm dazu noch so alles einfällt, und dann das Uninteressante aussortieren und das Interessante weiter schärfen. Im Idealfall so lange, bis es nicht mehr weiter geht.

Nahaufnahme Kuh
Näher dran: die Botschaft schärfen

In einem Wort

Wenn ich in einem Wort sagen müsste, was unabhängig vom Genre einen guten Text ausmacht, wäre meine Wahl klar: Ökonomie. Jedes Wort, das nicht nötig ist, um eine Botschaft zu vermitteln, macht dem Leser Mühe und bringt ihm nichts. Je mehr solche Wörter – zu schweigen von Sätzen und Absätzen – im Text vorkommen, desto weniger lebendig ist die Leseerfahrung und desto weniger ergiebig die Kommunikation.

Alles konsequent darauf abzuklopfen, ob es sich nicht mit weniger Aufwand ausdrücken lässt, also mit weniger, mit einfacheren, konkreteren Wörtern und klareren Satzstrukturen – das ist viel wichtiger und schwieriger als das Aufschreiben, mit dem alles beginnt. Aber gerade Anfänger können hier auch am meisten herausholen.